Sie findet mutige Worte, die Berliner Diakonie-Direktorin. „Es wird immer nur gejubelt, dass es die Tafeln gibt“, sagt Susanne Kahl-Passoth. „Dabei entlassen sie den Staat aus seiner sozialen Verantwortung.“ Ihr Diakonie-Landesverband ist Mitglied des „kritischen Aktionsbündnisses 20 Jahre Tafeln“.
Rund 20 Gruppen fordern eine Debatte über die kostenlose Ausgabe von Essen, das zuvor meist in Supermärkten übrig geblieben ist. Müsste sich nicht stattdessen der Staat um die soziale Mindestsicherung kümmern? Dass die Diakonie beim kritischen Aktionsbündnis ist, erstaunt – schließlich betreibt der Bundesverband selbst zahlreiche Ausgabestellen. Kahl-Passoth meint: „Die Tafeln decken nur ein Problem zu.“
"Negativwahn ist unendlich stark"
Die Tafel-Befürworter behaupten das genaue Gegenteil: „Ohne die Tafeln gäbe es auch keine Armutsdiskussion“, sagt etwa die Gründerin der Berliner Tafel, Sabine Werth. „Die Wartenden erregen die Aufmerksamkeit der Medien. Damit wird die Politik zur Diskussion gezwungen.“ Werth selbst war dennoch bis vor Kurzem Mitglied des kritischen Aktionsbündnisses. Dann ist sie ausgetreten, „weil der Negativwahn dort unendlich stark ist“, wie sie sagt. „Ich hatte gehofft, dass wir die Notwendigkeit der Existenz der Tafeln kritisieren, nicht die Tafeln selbst.“
Die Diskussion über die Sinnhaftigkeit karitativer Tätigkeiten ist nicht neu. Ist das eine Privatisierung staatlicher Aufgaben? Bei den Tafeln wird die Diskussion jedoch besonders heftig geführt. Schließlich geht es um das Essen, eines der grundlegendsten Bedürfnisse.
Die Tafeln sind gleichzeitig aber auch sehr erfolgreich: Vor 20 Jahren eröffnete in Berlin die erste derartige Einrichtung, seitdem sind mehr als 900 weitere aus dem Boden geschossen.
Unternehmen polieren ihr Image
Ein Grund: Die Tafeln sind ein Symptom der Wegwerfgesellschaft, und sie profitieren von ihr. Unternehmen spenden bereitwillig. Im Kleide sozialer Verantwortung polieren sie ihr Image auf. Nebenbei sparen sie auch noch die Kosten für die Müllentsorgung. Buchautor Stefan Selke spricht bereits von einer Armutsökonomie. Verschiedene Anbieter konkurrieren auf dem Feld der Hilfe. Die tatsächliche Überwindung von Armut tritt in den Hintergrund.
Warum aber sind viele Unternehmen gegen das sogenannte Containern, bei dem Menschen die noch genießbaren Essensreste aus dem Müll fischen? Die Antwort liegt nahe: Die Unternehmen gefallen sich in ihrer Rolle als Spender. Containern ist zudem eine politische Bewegung, die das Wegwerfen von Lebensmitteln skandalisiert und das Verhalten der Unternehmen in Frage stellt.
Und bei den Tafeln? „Viele Tafel-Helfer sind sehr unpolitisch“, sagt die Berliner Diakonie-Direktorin Kahl-Passoth. Sie selber war schon immer politisch. Wäre das Containern nicht das perfekte Hobby für sie? Die 64-Jährige winkt ab. „Für das Containern bin ich zu alt. Und zu unsportlich!“