David Schnell malt Landschaften im Wandel. Er will damit die Gesellschaft kritisieren. Wie Natur, Geld und Kunst zusammenspielen, erzählt er im Gespräch
Nehmen Sie sich ein Taxi zum Atelier, hatte es bei David Schnells Galerie Eigen + Art geheißen. Das finden Sie auf dem Fabrikgelände sonst nicht. Der Maler arbeitet nicht auf dem Gelände der alten Baumwollspinnerei, wo Neo Rauch sein Atelier hat und Eigen + Art und viele andere Galerien sitzen, sondern am entgegengesetzten Ende der Stadt, in Mockau. Backstein auch hier, aber auch Leerstand, zerborstenes Glas und – anders als auf der Spinnerei – keine Touristen, die Kunstprominenz sehen wollen.
Das Atelier ist im zweiten Stock, hinter zwei ockerfarbenen Stahltüren, durch die beiden Guckfenster der ersten schaut man auf die Guckfenster der zweiten. Daneben kleben kleine Zettel mit seinem Namen, als sei er eben erst eingezogen. Dabei arbeitet David Schnell seit
nell seit zwölf Jahren in diesem Atelier. Im Gespräch wird er später erzählen, dass hier Aufzüge gebaut wurden. Zuerst vom Weltmarktführer Otis, während der DDR dann von den VEB Aufzugswerken, nach der Wende kaufte Otis die Gebäude zurück. Seine Miete, sagt Schnell, zahle er immer noch an Otis: „Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Weltkonzern überhaupt weiß, dass es das hier noch gibt.“ Im Atelier riecht es nach Ölfarbe. Die lichten Fenster schirmen helle Blenden ab. Schnell war gerade ein Jahr in Rom, als Stipendiat der Villa Massimo. An der Wand, an der er arbeitet, hängt ein dunkles, großformatiges Gemälde, noch ohne Titel, noch nicht ganz fertig. Zehn Bilder hat er in Italien gemalt, oder zumindest begonnen.Der Freitag: Ich habe mich gefragt, wie Sie Ihr Atelier mal eben nach Rom verlegt haben. Inzwischen scheint jeder erfolgreiche Künstler eine Werkstatt mit Angestellten zu unterhalten.David Schnell: In Leipzig kenne ich da keinen. Gerade monotone Arbeiten, wie eine Fläche blau einzustreichen, machen mir tatsächlich Spaß. Nach Rom habe ich Leinwände mitgenommen, jede Menge Ölfarben. Vielleicht war das ein Fehler. Die Beschaffung von Materialien wie Leinwänden und Keilrahmen wäre sicher eine gute Möglichkeit gewesen, um ins Alltagsgeschehen einzutauchen.Die Gelegenheit dazu bekamen Sie dann eher unverhofft. Die Gemeinde Genzano schrieb dem Direktor der Villa Massimo, ob ein Stipendiat an ihrer Fronleichnamsfeier teilnehmen möchte.Natürlich klang das erst mal fragwürdig. Zu Fronleichnam wird an vielen Orten im Umland von Rom die Infiorata gefeiert. Für die Prozession in Genzano wird ein Blütenteppich aus rund 20 Einzelbildern auf der Hauptstraße ausgelegt. Wir sind also hingefahren, um den Bürgermeister und den Ort kennenzulernen und mehr über das Event zu erfahren. Das hat mir schon mal sehr gut gefallen.Was hatte die Gemeinde mit Ihnen vor?Michael Ende hat viele Jahre in Genzano gelebt und dort neben der Unendlichen Geschichte auch Momo geschrieben. Das Erscheinen jährte sich zum 40. Mal. Also dachten sie, es wäre schön, einen deutschen Künstler zu diesem Anlass einzuladen. Ich habe mit dem Amphitheater angefangen, in dem Momo wohnt. Den Entwurf habe ich wie eine Malerei gehandhabt und immer mehr reduziert.Anstatt mit Ölfarbe auf Leinwand mussten Sie mit Blumen auf Asphalt malen.Mein Bild war unter dem Rathaus. Im Hof saßen mindestens hundert Leute, die Blumen geköpft haben. Ich stand auf dem Balkon und konnte von dort der Blumenmeisterin Farbkorrekturen mitteilen, zum Beispiel: In das Blau bitte noch ein bisschen Weiß.Was geschah dann?Über die fertigen Teppiche geht eine religiöse Prozession drüber. Dann eine mit historischen Kostümen. Ich fand es kurios, dass Figuren in meinem Bild standen. Ich male ja keine Menschen. Zum Schluss rennen die Kinder über die Reste. Diese Flüchtigkeit war mir sympathisch. Die Bilder werden abgetragen. Das ist etwas, das ich auch in meiner Malerei betreibe.Malerei galt lange als überholt. Wann war Ihnen klar, dass Sie davon leben können?Zwei, drei Jahre nach dem Diplom. Da gab es Anfragen von mehreren Galerien und Ausstellungsmöglichkeiten in den USA, in London und in den Niederlanden. Es war ja tatsächlich so, dass es Anfang der 2000er einen Run auf Leipzig gab. Die Rundgänge an der Hochschule für Grafik und Buchkunst wurden von Sammlern und Galeristen gestürmt. Aber heute können hier auch nur etwa zwei Handvoll Künstler davon leben.Sie haben 2002 mit zehn anderen Leipziger Künstlern in Berlin die Produzentengalerie LIGA gegründet. Warum gab es die eigentlich nur zwei Jahre?Wir wollten nicht bei Galerien hausieren, aber aus Leipzig raus. LIGA war von vornherein für zwei Jahre als Sprungbrett geplant. Wir mussten die Galerie ja selber finanzieren und wir wollten nicht für immer als diese Gruppe angesehen werden, sondern als Einzelpersonen weitermachen.Seit 2004 vertritt Sie Eigen + Art, die bekannteste Leipziger Galerie und eine der wichtigsten in Deutschland. Wie kommt man da rein?Gerd Harry Lybke hat schon bei Hochschulrundgängen bei mir im Atelier reingeschaut und den Werdegang meiner Arbeit verfolgt. Dass sich das so gefügt hat, hat mich nicht total verwundert.Sie werden der Neuen Leipziger Schule zugerechnet. War es eigentlich nie Thema, dass Sie aus dem Westen kommen?An der Kunsthochschule nicht, obwohl wir 1995 eine frühe Generation waren, die nach Leipzig ging. Das erste Mal kam das auf, als ich 2009 die Ausschreibung gewonnen habe für das Friedens-Fenster zum Andenken an die friedliche Revolution in der Thomaskirche. Als ich den Entwurf der Gemeinde präsentierte, sagten einige: Sie waren doch gar nicht dabei. Sie kommen doch aus dem Westen.Wie sahen Sie das?Ich finde es müßig, zwischen Ost und West zu unterschieden, wenn man an die friedliche Revolution erinnern will. Mir hat sie ermöglicht, nach Leipzig zu kommen. Leute sind weggegangen, aber es sind auch Leute gekommen. Die Idee ist doch falsch, man könne so ein Kunstwerk nur machen, wenn man mitgelaufen ist. Dem Thema Öffnung steht das entgegen.Sie haben Ihre Diplomarbeit über Landschaft als Gesellschaftskritik geschrieben.Mir hat das Schreiben dieser Theoriearbeit viel gebracht, um zu verstehen, was ich selber mache. Ursprünglich wollte ich darüberschreiben, warum auf so vielen Plattencovern Landschaftsmotive sind. Ich bin bei der Recherche aber schon bei der Klärung des Begriffs hängengeblieben. Mir war vorher nicht bewusst, wie sehr die Entwicklung des Bewusstseins für Landschaften mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhing. Zu Beginn der Renaissance richtet sich der Blick nach außen. Der Mensch strebt nicht mehr nur danach, seine Rolle in der göttlichen Fügung auszufüllen, sein Blick richtet sich zum Horizont. Das ist ein wichtiges Moment, das Ständesystem gerät ins Wanken. Der Wandel der Gesellschaft findet sich in der Landschaft wieder.Landschaften sind immer auch politisch. Man denke nur an Helmut Kohls „blühende Landschafte“, die er dem Osten versprach. Durch Leipzig habe ich ein verändertes Verhältnis zur Landschaft. Erst wurde Braunkohle abgebaut, es wurde darin gearbeitet, Orte wurden weggebaggert. Plötzlich ist da ein Badesee. Es wird aber auch zu weit getrieben. Am See muss ein Hafen gebaut werden oder am besten noch ein Kanal, um von der Stadt aus hin zu paddeln. Vergangene Woche bin ich nach Chemnitz gefahren, über ein Stück Autobahn, das es nicht gab, als ich nach Rom ging. Die Autobahn war fast leer. Ist das sinnvoll? Eher nicht. Irgendwie aber auch schön. Es hat eine eigene Qualität.Für gewöhnlich malen Sie Landschaften, die sich im Zerfall befinden oder regelrecht zu explodieren scheinen. Rom hingegen gilt als die ewige Stadt.Auch Rom verändert sich. In Rom sind Veränderungsstadien der letzten Jahrtausende eingeschrieben. Das geht von der Antike über den Faschismus bis heute. In Leipzig gibt es das in der Form nicht.Erst die Romreise macht den Künstler fertig, schrieb der Klassizist Johann Joachim Winckelmann. Was erwarteten Sie sich?Eine Gelegenheit, um komplett anders anzufangen, vielleicht sogar etwas ganz anderes zu machen. Ich war fast 20 Jahre in Leipzig, zwölf in diesem Atelier. Ich dachte, ich könnte auf keinen Fall noch ein Bild an dieser Wand malen. Und dann musste ich feststellen, dass in der fremden Umgebung erst mal gar nichts passierte.Was haben Sie gemacht?Ich habe gearbeitet wie immer: Ich bin herumgefahren und habe mir Orte als groben Ansatzpunkt für Bilder genommen.Der Kritiker Niklas Maak schrieb über die Villa Massimo, in Rom sei man „abgekapselt vom Wanderzirkus des internationalen Kunstsystems“. Stimmt das?Ich habe sogar aufgehört auf Galerieneröffnungen zu gehen. Die italienische Kunstszene ist im Norden. Italienische Künstler gehen nach Turin oder Mailand. So eine Abwanderung ist erst mal negativ, aber im Endeffekt war Leipzig ja auch so eine Stadt, die vor sich hingedümpelt hat. Und irgendwann wurden die Freiräume, der Leerstand und die Tatsache, dass es unhip war, genutzt.Der Kunstmarkt spielt seit der Finanzkrise verrückt. Erst fielen die Preise in den Keller, jetzt gilt der Markt als völlig überhitzt. Wie erleben Sie das?Ich hatte das Glück, dass ich einige Sammler habe, die von der Krise nicht betroffen waren. Aber erschrocken hat man sich schon. Viele kleine Galerien haben zugemacht, bei denen Freunde von mir waren. Meine Galerie ist da ganz gut rausgekommen. Die Preise sind zu einem Zeitpunkt explodiert, wo klar war, das kann nicht gut gehen. Eine gute Galerie zeichnet auch aus, dass sie sieht, ob Leute Kunst nur als Geldanlage wollen.Denen wird dann zwar verkauft, aber sie werden nicht gepflegt?Nein, an die wird auch nicht verkauft. Sonst verschwinden die Sachen im Depot. Das ist nicht gut. Wenn der Zeitpunkt günstig ist, werden sie wieder auf den Markt geschmissen.Ohne dass die Galerie Einfluss auf die Preise hätte.Genau. Wer mit Begeisterung sammelt, hängt sich ein Gemälde an die Wand. Sollte er es verkaufen wollen, tut er das eher in Absprache mit der Galerie.Verändern der Erfolg und Erwartungen der Sammler das Malen?Ganz am Anfang gab es einen Sammler, der ein Bild wollte, das verkauft war. Er sagte, „kannst du mir nicht auch so eines malen“. Ich war bei einer kleinen Galerie in L.A., die haben mich etwas gedrängt. Ich habe also angefangen und direkt gedacht: „Oh Gott, das hätte ich nicht machen sollen.“Wie kamen Sie da raus?Ich habe ein anderes Bild gemalt. Die Galerie war etwas irritiert,aber für den Sammler war es gut so.