Die Entwicklung des nationalen Dialogs

Übersicht über die Gespräche zwischen Regierung und Opposition in Venezuela sowie erste Ergebnisse

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Präsident Nicolas Maduro argumentiert auf der Friedenskonferenz mit der venezolanischen Verfassung
Präsident Nicolas Maduro argumentiert auf der Friedenskonferenz mit der venezolanischen Verfassung

Der Präsident der bolivarischen Republik von Venezuela, Nicolas Maduro, hat bereits seit seiner Wahl am 14. April 2013 bei zahlreichen Anlässen zu Gesprächsrunden mit allen Akteuren des öffentlichen Lebens aufgerufen. Nach den Protesten seit Februar 2014 rief die venezolanische Regierung erneut alle großen Parteien zu gemeinsamen Gesprächen auf, um die wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes zu diskutieren. Im Folgenden sollen die wichtigsten bislang erzielten Ergebnisse dargestellt werden.

Die bisherige Bilanz

Die Dialogrunden für den Frieden begannen am 10. April unter Beteiligung auch der oppositionellen Parteien, die sich bis zu diesem Zeitpunkt dem Dialog verweigert hatten. Sie wurden von Außenministern der UNASUR und einem Vertreter des Vatikans begleitet. Diese Gesprächsrunden haben inzwischen dreimal getagt.

Ein Ansatz des Dialogs ist, dass er nicht nur in der Hauptstadt Caracas stattfinden soll. Daher wurde eine Kommission gebildet, um Gesprächsrunden mit den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften in allen Landesteilen zu organisieren. Zum 1. März wurde außerdem eine nationale Wirtschaftskonferenz einberufen, an der sich über 600 Unternehmer beteiligten. Zu Beginn der Gespräche wurden sieben Anfangsvereinbarungen getroffen, die inzwischen konkretisiert und erweitert wurden.

Eines der zentralen Ergebnisse ist die Einrichtung einer Wahrheitskommission, welche die seit dem 12. Februar 2014 verübten Gewaltakte untersuchen soll. Zudem wurden gemeinsame Komitees gebildet, um Kandidaten für öffentliche Ämter im Justizapparat und in der Wahlkommission auszuwählen.

Auf Wunsch der oppositionellen Allianz "Tisch der demokratischen Einheit" (MUD) wurde über ein Amnestie-Gesetz diskutiert, das auch den Fall von Polizeikommissar Ivan Simonovis einbezieht, der wegen der Toten beim Putsch im April 2002 verurteilt wurde. Zudem sprach man über zahlreiche Entwicklungsprojekte in von der Opposition regierten Gebieten unter Mitwirkung der Regierung.

Dritte Dialogrunde für den Frieden

Am 24. April fand das dritte Treffen zwischen der venezolanischen Regierung und Teilen der Opposition statt. Ziel war es die Vereinbarungen aus den vorherigen Dialogrunden zu formalisieren. An diesem Treffen beteiligten sich neben Mitgliedern der Regierung und der Opposition erneut auch Vertreter der Außenminister der UNASUR, María Ângela Holguin aus Kolumbien und Luiz Alberto Figuereido aus Brasilien. Anwesend waren außerdem Mitglieder der Vereinigung der Opfer des 11. Aprils 2002 (ASOVIC).

Zentrales Thema des Treffens war das von der Opposition geforderte Amnestiegesetz. Opfer und Angehörige von Opfern sprachen über ihre schmerzlichen Erlebnisse beim Staatsstreich vom 11. April 2002. Die Opposition hatte eine grundsätzliche Bedingung für ihre Beteiligung an den Dialogrunden gestellt, nämlich die Erörterung eines Amnestiegesetzes für Täter, die an den Gewaltakten seit dem Februar 2014 in irgendeiner Weise beteiligt waren.

Unter ihnen befinden sich auch frühere Bürgermeister wie Daniel Ceballos aus San Cristobal im Bundesstaat Táchira, wo die aktuelle Protestwelle ihren Ausgang nahm, und Enzo Scarano aus San Diego in Carabobo. Der prominenteste Gefangene ist Leopoldo López aus der Parteispitze von "Voluntad Popular" (Wille des Volkes). Sie sind neben verschiedenen anderen Delikten auch wegen Aufrufen zur Gewalt angeklagt.

Das Amnestiegesetz soll aber auch ermöglichen, den früheren Polizeikommissar Iván Simonovis aus der Haft zu entlassen, der zu 30 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt worden ist. Das Gericht machte ihn für das Massaker an der Puente Llaguno während des Staatsstreichs im April des Jahres 2002 gegen den damaligen Präsidenten Hugo Chavez verantwortlich. Dabei wurden 19 Menschen getötet und über 110 verletzt. Die Regierung erklärte sich bereit, dieses Thema im Rahmen der Verfassung und der gesetzlichen Normen zu behandeln. Sie schlug vor, die Sicht der Opfer und der Angehörigen von Opfern des Staatsstreichs von 2002 in die Gespräche mit einzubeziehen.

Entsprechend konnten sich die Mitglieder der Vereinigung der Opfer des 11. April 2002 und einige der Opfer selbst direkt an die Teilnehmer der dritten Dialogrunde wenden. Sie sprachen sich gegen die Freilassung von Simonovis aus, u.a. weil er unter keiner schweren Krankheit leide, die eine solche Maßnahme rechtfertigen würde.

Bei dem Treffen vertrat die Regierung die Position, dass die politische Stabilität und der Frieden im Lande nur erreicht werden könne, wenn die Autorität der Justiz uneingeschränkt anerkannt wird. Deswegen lehnt sie gegenwärtig ein Amnestiegesetz ab. Die Vertreter der Opposition bestanden hingegen darauf, weiter an einem solchen Gesetz zu arbeiten. In der Folge bildete sie eine Arbeitsgruppe unter Leitung der Abgeordneten Edgar Zambrano von der Demokratischen Aktion (AD) und Andrés Velázquez aus der Partei "Causa R".

Beide Seiten vereinbarten außerdem, ein Ärzteteam zu bilden, das den Gesundheitszustand von Iván Simonovis überprüfen soll. Es besteht aus einem von seiner Verteidigung benannten Arzt, einem Regierungsvertreter und einer unparteilichen ärztlichen Institution. Diese Kommission hat am vergangenen 8. Mai eine medizinische Untersuchung durchgeführt. Das Gutachten wird von der Justiz hinsichtlich der Frage geprüft, ob spezielle Maßnahmen für den Ex-Kommissar erforderlich sind.

Erweiterung der Wahrheitskommission

Am 23. Februar hatte Präsident Nicolas Maduro dem Parlament einen Antrag zur Bildung einer Wahrheitskommission vorgelegt. Sie sollte die seit dem 12. Februar verübten Gewaltakte untersuchen. Außerdem soll sie den systematischen Falschinformationen der Medien im In- und Ausland hinsichtlich der Situation in Venezuela nachgehen.

Am 18. März hat die Nationalversammlung diesem Antrag zugestimmt. Ursprünglich sollte sie nur aus venezolanischen Parlamentariern bestehen. Nach Beginn der Dialogrunden für den Frieden wurde eine Erweiterung um diverse Menschenrechtsorganisationen und um mit dem Thema befasste Persönlichkeiten beschlossen. Nach Vorschlag der Oppositionsallianz MUD wurde die nationale Vizepräsidentin der Partei “Un Nuevo Tiempo”, Delsa Solórzano, und der Präsident der Partei COPEI, Roberto Enriquez, mit dazu eingeladen.

Seitens der Regierung nehmen zwei Abgeordnete der PSUV, Elvis Amoroso und Robert Serra, teil. Außerdem wurde erwogen, die guatemaltekische Menschenrechtlerin Rigoberta Menchú hinzuzuziehen. Am 7. Mai wurde diese Kommission formell gemäß Absprache zwischen Regierung und Opposition durch das Parlament eingesetzt. Doch die Kommissionsteilnehmer der Opposition blieben dieser Sitzung fern.

Entwicklungsprojekte in oppositionell regierten Bezirken

Am 11. April hatte Präsident Maduro die Gouverneure und Bürgermeister der Opposition zu einem Austausch über die Dezentralisierungsprozesse und die Kompetenzverlagerungen auf die Ebene der lokalen Regierungen eingeladen. Bei diesem Treffen wurden 178 spezielle Projekte für 74 Landes- und Kommunalregierungen beschlossen. Das Investitionsvolumen beträgt eine Milliarde Bolivar.

Zudem wurde eine Wirtschaftskonferenz für den Frieden einberufen, die spezielle Finanzierungsmitteln für die produktive Entwicklung der Wirtschaft bereitstellen soll. Am 23. April wurde in Caracas von Präsident Nicolas Maduro eine neue Runde der Wirtschaftskonferenz für den Frieden durchgeführt. Die erste hatte bereits im Februar dieses Jahres stattgefunden. Ihr folgten zahlreichen Arbeitssitzungen in allen Landesteilen zur Vorbereitung dieser neuen Konferenz.

Daran beteiligten sich Arbeiter, Betriebsleiter und über 600 Unternehmer. Ergebnis waren Pläne für eine solide Entwicklung im Produktionsbereich. Man erarbeitete drei zentrale Konzepte, um die Versorgung zu garantieren, die Grundbedürfnisse zu decken und gerechte Preise durchzusetzen. In dieser Gesprächsrunde kündigte der Präsident die Bereitstellung von Mitteln aus dem Nationalen Entwicklungsfond (FONDEN) an, aus dem China-Fond und aus dem ALBA-MERCOSUR-Fond, um die neue Investitionsstrategie der Unternehmen im Rahmen der nationalen Kooperation zu finanzieren.

Zwischen Februar und April wurde eine strukturelle "Wirtschaftslandkarte" erstellt. Es zeigte sich, dass von den 2911 Unternehmen, die an der Wirtschaftskonferenz teilnahmen, 39 Prozent Exportqualität produzieren und 27 Prozent an einer bedeutenden Erweiterung ihrer Produktivität arbeiten. Ziel ist ein Entwicklungsplan zur wirtschaftlichen Integration des ganzen Landes, um die Abhängigkeit von der Ölproduktion zu reduzieren.

Die venezolanische Wirtschaft wies 2012 eine Wachstumsrate von 5,6 Prozent auf. Die herbeigeführte Destabilisierung u.a. auch mit Mitteln der Wirtschaftssabotage bewirkte einen empfindlichen Rückgang der wirtschaftlichen Tätigkeit in 2013. Ein weiteres Ergebnis der dritten Dialogrunde für den Frieden ist eine permanente Arbeitsgruppe zur schnellen Konkretion von Vereinbarungen und beschlossenen Projekten.

Schaffung des Nationalen Rates der Menschenrechte

Am 30. April wurde der "Nationale Rat fuer Menschenrechte" ins Leben gerufen, ein Vorschlag der Außenminister der Südamerikanischen Staaten (UNASUR), die den Dialogprozess im Lande begleiten. Er ist eine Koordinierungsinstanz zwischen staatlichen Stellen und gesellschaftlichen Kräften zum Schutz der Menschenrechte. Die Kommission soll an der Planung, Strukturierung und Formulierung öffentlicher Menschenrechtspolitik teilnehmen.