Paul Thomas Anderson porträtiert in „The Master“ den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard als Seelenfänger von Kriegstraumatisierten und Pionierarbeiter am Selbst
Der entwurzelte Heimkehrer Freddie Quell (Joaquin Phoenix) betritt Paul Thomas Andersons Film The Master als beschädigter Navy-Veteran, unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Man sieht Quell noch kurz in militärischer Pose, mit Helm und zugekniffenen Augen, Kampflinien taxierend. Nach einem Schnitt beginnt die Nachkriegszeit – mit Soldaten am Strand, die statt Sandburgen Frauenkörper formen. Nachkriegssex ist eine Trockenübung, Quell masturbiert euphorisch ins offene Meer.
Dass die zivile Reintegration dieser Männer eine gewaltige gesamtgesellschaftliche Anstrengung darstellt, wird schnell offensichtlich. Militärärzte untersuchen die Soldaten, erkunden ihren psychischen Zustand. Die Klinik-Szenen aus The Master haben ein filmgeschichtliches Vo
n ein filmgeschichtliches Vorbild: Let there be light (1946), John Hustons beeindruckender Dokumentarfilm über das Mason General Hospital in Brentwood, Long Island. Dort wurden amerikanische Kriegsheimkehrer wegen quälender Störungen behandelt, die Jahrzehnte später unter dem Sammelbegriff „Posttraumatisches Stresssyndrom“ subsumiert werden sollten.Dass Quell im Krieg etwas erlebt hat, das nicht einfach wegtherapierbar ist, wäre wohl am ehesten die historische Trauma-Diagnose dieses Films, der sich letztlich in größeren Zusammenhängen für die Verbesserungsideologien des Selbst interessiert. Quell begegnet nämlich einem Propheten der Ich-Befreiung, dem Sektenführer Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), eine Figur, die lose, aber doch unmissverständlich an den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard angelehnt ist.Dodd hat in Sachen erlöster Subjektivität besonders steile Thesen zu bieten. Er verbreitet kuriose Reinkarnationsideen und hält Leukämie für gesprächsweise kurierbar. Quells Weltkriegstrauma trifft auf einen Guru, für den „Trauma“ eine pränatale Tatsache ist.Der Selfmade-Meister Dodd spricht in Rätseln, hat aber sehr genau verstanden, welches Dienstleistungsprodukt die Nachkriegsgesellschaft nachfragen wird: ein religiöses Weltdeutungsangebot, das auf den Ich-Kult, die Rhetorik der Selbstoptimierung zugeschnitten ist. Ein riesiger Markt will bedient werden, der Wettbewerb um die eingängigste Botschaft hat begonnen.Feinnerviges FormexperimentBei seinen kuriosen Showtherapien – eine Mischung aus verballhornter Psychoanalyse, Hypnose und sinnfreien Ermüdungsübungen – trifft Dodd den richtigen Ton für ein Zeitalter, das für die Vorstellung, „negative Gefühle“ seien permanent zu bekämpfen, bereits empfänglich ist. The Master liefert auf dieser Ebene eine kleine Genealogie zu den Ego-Problemen der Gegenwart, von der Normalisierung von Psychopharmaka als Alltagsbegleiter bis zu neumodischen Begriffen wie „Me-Time“. Im Mittelpunkt steht die Arbeit am Ich, jeder muss ständig besser werden wollen. Dass dieser Prozess unabschließbar ist, gehört zum Geschäftsmodell der Sekte, die in The Master schlicht „The Cause“ heißt.Zwischen Erinnerung und Imagination wird in Dodds therapeutischer Praxis allerdings nicht so genau unterschieden, was einige Mitglieder etwas irritiert zurücklässt. Wer offen widerspricht, wird fertig gemacht. Es ist Dodds Ehefrau Peggy (Amy Adams), die im Hintergrund die Fäden zieht und bei Bedarf eine besondere Eiseskälte an den Tag legt.Brillant ist The Master, der auf 65mm-Material gedreht wurde, als feinnerviges Formexperiment. Der Film bewegt sich in ständigem Schwankgang, ist nervös wie die Subjektzustände, die ihn interessieren. Die präzise komponierte Instabilität ist einerseits ein Montageeffekt, der durch einen schön schräg ins Atonale zielenden Score (Johnny Greenwood) unterstützt wird. Andererseits hält Anderson sich in seinen Erzählbewegungen fern von regeldramaturgischen Modellen, mit denen üblicherweise psychische Defekte und charismatische Verführung verhandelt werden.Vor allem aber ist The Master die Begegnung zweier virtuoser Schauspieler. Hoffman schmettert seinen Bariton auf Phoenix nieder; dieser revanchiert sich mit einer elaborierten Serie an mimischen Ticks. Die beiden Stars fabrizieren in Andersons hochfahrenden Bild-Ton-Kompositionen reines Meta-Schauspielerkino. Zwei ausgebuffte Profis, die sich wechselseitig in der Improvisation belauern. Sehr schön die Gefängnisszene, in der Hoffman dem randalierenden Phoenix trotz durchgetretenem WC-Porzellan nicht mal die gehobene Augenbraue als Anerkennung zukommen lässt. Große Oper für gekonnt outriertes Schauspielhandwerk.Mit Method Acting oder Figureneinfühlung hat diese freigestellte Expressivität wenig zu tun. Phoenix etwa legt seine Performance abstrakt als Studie entgleitender Verhaltensweisen an. Als schiefer, dissonanter, in die Asozialität gezwungener Klangkörper steht er in einem so weitläufigen wie wagemutigen Film, der jenseits von Fragen kritischer Sektengeschichtsschreibung über Ego und Kino nachdenkt.