Dietrich Brüggemann zwingt in „Kreuzweg“ die religiöse Geschichte in eine feste Erzählweise, Mira Fornay zeigt sich mit „My Dog Killer“ dagegen beweglicher
Wie entsteht eigentlich große Kunst? Es ginge natürlich auch ein paar Nummern kleiner zum Einstieg, aber immerhin geht es um Kreuzweg, und damit um einen Film, dem der Kunstwille aus jeder seiner 14 Einstellungen quillt. Für ihre Geschichte von der zerstörerischen Kraft des religiösen Fundamentalismus erhielten Anna und Dietrich Brüggemann auf der Berlinale im Februar den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch. Eine mögliche Antwort auf die Eingangsfrage könnte also lauten: Kunst entsteht, wo sich ein Inhalt eine Form sucht. Formbewusst, das ist Regisseur Brüggemann auf jeden Fall.
Der Kreuzweg ist eine Andachtsübung, die üblicherweise aus 14 Stationen besteht, deshalb also 14 Einstellungen. Diese Ästhetik soll in ihrer r
tik soll in ihrer repressiven Strenge das Umfeld spiegeln, in dem ein Mädchen (Lea van Acken) aufwächst, das 14 Jahre alt ist und Maria heißt. Nun erlegt ihr nicht nur die erzkatholische Gemeinde der Eltern, deren Lehren und Gebaren an die Piusbruderschaft erinnert, sondern auch das preisgekrönte Skript einen Leidensweg auf. Verzicht wird gepredigt, also verweigert Maria die Nahrungsaufnahme, und die eingeforderte Hingabe an den Herrn kann für Maria nur ein logisches Ende finden.Dabei folgen die Brüggemanns einer erzählerischen Strategie der – meist recht simpel gehaltenen – Dopplung. Wenn es heißt: „Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz“, dann unterhält Maria sich mit einem Schulkameraden über Soul, Jazz oder wie immer diese „satanistischen“ Stile heißen. Wenn die Einstellung überschrieben ist mit: „Jesus begegnet seiner Mutter“, dann setzt Maria sich ins Auto zu ihrer Mutter.Der Ausgang der Geschichte ist also vorherbestimmt, aber auf dem Weg zum Unvermeidlichen macht Brüggemann deutlich, wie ernst es ihm ist mit der Strategie der Überdefinition: Wenn Maria durch eine Hostie stirbt und ihr bis dahin stummer Bruder genau in diesem Moment zu sprechen beginnt, erfüllen sich eine göttliche und eine filmemacherische Vorsehung zugleich. Und der Bestatter, den das Opferpathos von Marias Mutter befremdet, heißt natürlich Feuerbach (Hanns Zischler).Füße eincremenDas ist alles überaus trefflich – so trefflich, dass der Film, seine Figuren, sein Raum und seine Dialoge vom Konzept geradezu erstickt werden. Nichts im Bild, was sich nicht dem Masterplan unterordnete. Die fertige Kunst sieht so aus, als sei die Form immer schon gewesen – und habe dann noch irgendwie mit Inhalt gefüllt werden wollen. Das mag man konsequent finden, wie es wohl die Jury der Berlinale tat. Oder totalitär.Auch in Mira Fornays Film My Dog Killer hat sich ein autoritäres Weltbild in den Köpfen der Figuren eingenistet, das die Regisseurin in langen Einstellungen ans Tageslicht zerrt. Es ist noch schwer, eine slowakische Kinotraditionslinie zu zeichnen, die in den letzten gut 20 Jahren ihren Anfang genommen hätte.Der wohl bislang bekannteste Film des Landes, Martin Šulíks Der Garten von 1995, wählte eine bewusst anti-realistische Darstellung, tief im Brauchtum und der Philosophie verwurzelt. Mira Fornay hat sich dagegen für eine herbe, wortkarge Ästhetik der Reduktion entschieden. Anders als Brüggemann orchestriert Fornay ihren Antihelden und dessen soziales Umfeld aber nicht wie Spielfiguren vor dem starren Blick der Kamera. Sie heftet sich vielmehr an die Fersen des 18-jährigen Skinhead Marek (Adam Mihál), und erschließt so den postkommunistischen Alltag und damit die Topografie eines Staats im Übergang, in dem die Verlierer des Umbruchs den Gewinnern in neu entstandenen Einkaufszentren die Füße cremen.So entsteht ein Film, der die Bewegung zum Formprinzip erhoben hat. Marek läuft auf dem elterlichen Weingut umher, fährt auf dem Mofa in die Stadt, besucht seine Gang und macht sich schließlich auf zu seiner Mutter, die verhasst ist und verstoßen, weil der Vater von Mareks Halbbruder Lukas ein Roma ist. Die Kamera hält Distanz zum oft genug teilnahmslos-gelangweilten Gesicht von Adam Mihál, handlungstreibende Elemente lässt Mira Fornay oft außerhalb des Bildkaders geschehen. Auf leisen Sohlen, gänzlich ohne Musikeinsatz, naht da eine Katastrophe, an der Marek, wie an so vielem, weder wirklich schuldig noch ganz unschuldig ist.Das ist der Trick, den Mira Fornay mit ihrem Film vorführt: Sie erzählt im Modus der Reise, sie erzählt, indem sie den filmischen Raum durchquert, der in Kreuzweg so zwanghaft eingefroren ist – aber sie erzählt vom Stillstand und der Lähmung. Es ist keine große Anstrengung, als Zuschauer diese scheinbare Paradox zu begreifen; es verlangt allerdings ein einigermaßen geduldiges Hinsehen und Hineinfühlen.Die Idee hinter Kreuzweg ist die Verdopplung vom Inhalt in der Form. My Dog Killer beweist dagegen, wie reizvoll es ist, wenn beide sich dialektisch entfalten.