Ein Jahr nach Fukushima und der Entscheidung zum Atomausstieg gibt es erste Erfolge. Wäre da nur nicht die Selbstblockade der schwarz-gelben Koalition
Die Feldheimer haben es bereits hinter sich. 43 Windräder drehen sich rund um das Häuflein Häuser am südlichsten Zipfel Brandenburgs. Ein Biogaskraftwerk besorgt den Rest der Stromversorgung und liefert über ein eigenes Netz auch die Wärme für die Wohnungen – und zwar preiswerter als von kommerziellen Versorgern. „Energieautarkes Dorf Feldheim“ nennt sich die Gemeinde seit einem Jahr und präsentiert sich stolz als Versuchslabor für den Komplettumstieg auf erneuerbare Energien.
Doch hat Feldheim, offiziell Ortsteil von Treuenbrietzen, nur 148 Einwohner. Die übrigen 82 Millionen Bürger der Republik warten noch auf die Energiewende, die die Bundesregierung angesichts der Bilder explodierender Reaktoren in Fukushima vor ei
ima vor einem Jahr so überhastet beschlossen hat. Einige verlieren bereits die Geduld. „Die Energiewende ist bei Weitem nicht im Zeitrahmen“, warnte kürzlich erneut der frühere Umweltminister Klaus Töpfer, der seit Monaten an seinen Nachfolgern in der Regierung Merkel mäkelt.Schon vom Scheitern zu reden, halten aber selbst Kritiker der schwarz-gelben Politik für abwegig. „Das ist natürlich totaler Unsinn“, meint zum Beispiel WWF-Klima- und Energieexpertin Regine Günther. „Das wäre nur eine selffulfilling Prophecy derjenigen, die daran sägen, was sie ohnehin nie wollten.“ Die Energiewende scheitert nicht – sie leidet derzeit nur unter der Selbstblockade einer Regierung, die sich in Lobbykonflikten verheddert.Erneuerbare auf Platz zweiTatsächlich ist ein dramatischer Einschnitt ja bereits Geschichte. Acht alte Atomkraftwerke mit 5.000 Megawatt Leistung sind seit einem Jahr abgeschaltet – und seither ist weder, wie damals von Interessenvertretern prognostiziert, der Börsenstrompreis explodiert noch das deutsche Stromnetz zusammengebrochen. Deutschland exportiert immer noch sechs Milliarden Kilowattstunden mehr Strom, als es einführt.Nachdem der Anteil der Kernkraft absackte, liegen die erneuerbaren Energien nun mit 20 Prozent erstmals auf Platz zwei der wichtigsten Stromquellen – nach der Kohle. Investoren haben allein 2011 Sonnenkraftwerke mit 7.500 Megawatt Spitzenleistung installiert. Zwar wird, weil die Sonne nicht immer scheint, nur ein Teil der Kapazität ausgeschöpft. Doch lieferten Fotovoltaikanlagen im vergangenen Jahr immerhin knapp 16 Prozent des Aufkommens an Ökostrom. Gleichzeitig lag der Energieverbrauch so niedrig wie noch nie seit der deutschen Wiedervereinigung. Selbst wenn man den Effekt des milden Winters abzieht, brauchte Deutschland 2011 nach Zahlen der AG Energiebilanzen ein Prozent weniger Primärenergie als noch ein Jahr zuvor – und das trotz der drei Prozent Wirtschaftswachstum. Auch das Energiesparen scheint also voranzukommen. Umweltminister Norbert Röttgen nahm die Entwicklung bereits als willkommene Gelegenheit, sich selbst zu loben: „Die Energiewende ist in vollem Gange, und sie verläuft erfolgreich“, sagte der CDU-Politiker dem Spiegel.Das allerdings weckt dann doch heftigen Widerspruch – auch von WWF-Expertin Günther. „Diese Regierung hat zwar den Beschluss zur Energiewende getroffen, aber danach nicht mehr nachgelegt“, sagt die Umweltschützerin. „Die Koalition liegt komplett im Dornröschenschlaf.“ Sichtbare Aktivität gab es zuletzt nur in einem öffentlich ausgetragenen Machtkampf zwischen Röttgen und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) um die Förderung von Solaranlagen und die EU-Effizienzrichtlinie. Die Botschaft an die Öffentlichkeit: Die Energiewende geht zu schnell. Denn Röttgen argumentiert bei der Solarenergie, der rasante Ausbau überfordere das Stromnetz. Rösler findet den vielen Sonnenstrom schlicht zu teuer. Ihr Kompromiss lautet: Bremse ziehen. Mit der nun vorgesehenen Neuregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes werde der Ausbau faktisch bei höchstens 1.900 Megawatt pro Jahr gedeckelt, rechnet die Deutsche Umwelthilfe vor. Die Grünen sprechen inzwischen vom „schrittweisen Solarausstieg“ – wo doch die Erneuerbaren die Zukunft sein sollen und alle Potenziale ausgeschöpft werden müssten.Nichtexistenter MinisterBei der EU-Richtlinie zur Energieeffizienz hat sich ebenfalls Bremser Rösler durchgesetzt (siehe Kasten) – was wiederum ein zentrales Element des Energiepakts schwächt. Denn die Regierung hat sich unter anderem vorgenommen, den Stromverbrauch bis 2020 um zehn Prozent unter den Wert von 2008 bringen. Sonst gehen ihre Rechenmodelle nicht auf. Bisher ist er aber nur um ein Prozent zurückgegangen. Im vergangenen Jahr waren es nach Zahlen der AG Energiebilanzen nur 0,3 Prozent.Das sind nur zwei Beispiele – auf anderen Baustellen der Energiewende kommt Schwarz-Gelb nicht voran: Beim Netzausbau gibt es kaum Fortschritte, die Windparks auf See kommen nicht in Schwung. Dem Energie- und Klimafonds, der sich aus dem Verkauf von Emissionsrechten speisen sollte, geht das Geld aus, weil die Zertifikate viel billiger sind als von der Regierung erwartet. Die Fördermittel für erneuerbare Energien im Wärmemarkt fehlen, fest eingeplante Steuernachlässe für Gebäudesanierung scheitern am Streit mit den Ländern. Eine bessere Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung ist zwar angekündigt, aber nicht beschlossen. Und so fort.Dass der Komplettumbau des Energiesystems schwierig wird und auf Jahrzehnte angelegt ist, darüber waren sich Fachleute von Anfang an einig. Dass es jetzt aber derartig rumpelt, liegt auch an den Beteiligten. „Röttgen hat offenbar das Interesse verloren, das ist ein nichtexistenter Minister“, meint WWF-Expertin Günther.Der CDU-Politiker selbst räumt ein, dass er sich vor seinem Amtsantritt Ende 2009 für Umwelt- und Energiepolitik nicht speziell interessiert habe. Eigentlich gilt er als Befürworter eines raschen Atomausstiegs, doch tritt er öffentlich kaum in Erscheinung. Sein Gegenspieler Rösler hat selbst noch weniger Erfahrung mit dem Thema und wählte sein Amt im Frühjahr 2011 eher aus Parteiräson. Sein Ministeriumsapparat gibt ihm jedoch eine Linie vor, die er von jeher vertritt: möglichst wenig Lasten für die große Industrie und die herkömmlichen Versorger, die ohnehin nach dem Atomausstieg die schon sicher gewähnten Milliardengewinne drangeben mussten.Grad der VerinnerlichungRöttgen beschreibt die Selbstblockade der Regierung recht offen – wenn auch in der ihm eigenen verschwurbelten Rhetorik. „Es mag sein, dass der Grad der inneren Verinnerlichung dieser Energiewende in dieser Regierung noch unterschiedlich ist“, sagte er bei einer Veranstaltung am Sonntag in Berlin. Kern der Auseinandersetzung seien Interessenkonflikte: „Jede Kilowattstunde, die aus erneuerbaren Energien kommt, kommt nicht aus Kohle- oder Kernkraftwerken.“ Die Umwelthilfe unterstellt der Bundesregierung deshalb, die eigene Energiewende zugunsten der traditionellen Energiewirtschaft zu verzögern.Nötig sei nun endlich ein „professionelles Projektmanagement“, meint Ex-Minister Töpfer. „Hier ist nun wirklich Handlungsbedarf in der Regierung.“ Die Grünen verlangen einfach mehr Ehrgeiz. Nicht nur 35 Prozent Ökostrom bis 2020 – wie von der Regierung geplant – seien möglich, sondern 45 Prozent. Der Netzausbau müsse „Chefsache“ werden, die Vergünstigungen für die Industrie bei der EEG-Umlage, die die Kosten für Normalverbraucher in die Höhe treiben, müssten ein Ende haben. Dann klappe das auch mit der Wende, die ja schon „ihren ersten Härtetest bestanden“ habe, meint die Ökopartei.