Nur ein rund vier Kilometer breiter Streifen Land trennt die insgesamt eine Million Soldaten beiderseits der Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Die Atmosphäre in dieser demilitarisierten Zone, die nach dem Waffenstillstand am Ende des Koreakriegs eingerichtet wurde, ist wie ein Spiegel der Beziehungen zwischen den beiden Ländern: lang andauernde Spannungen, gelegentliche Krisen und anschließend eine Rückkehr zum Status quo. Dieses prekäre Absprache zwischen den beiden Staaten hat zwar in der Vergangenheit einen erneuten Krieg verhindert – ein wirklicher, stabiler Frieden ist so aber nicht erreicht worden.
Auch wenn es angesichts der ständigen Drohungen und Provokationen aus Nordkorea derzeit völlig unangebracht, ja fast undenkbar erscheint: Die
Übersetzung: Sven Scheer
heint: Die Zeit ist reif, einen neuen Ansatz im Umgang mit Nordkorea zu suchen – den direkten Dialog. Vergangenen Sonntag hat Washington einen lange geplanten Raketentest verschoben, worauf all jene neue Hoffnung schöpften, die in den vergangenen Tagen bereits moderatere Töne gefordert hatten. Zuvor hatte die Demonstration eigener Stärke, unter anderem durch Flüge von Tarnkappen-Bombern über der koreanischen Halbinsel, die ohnehin extrem angespannte Situation nur noch weiter verschärft.„Die USA haben ihre Drohgebärden etwas zurückgefahren und damit die Situation ein wenig entspannt“, sagte John Delury, Nordkoreaexperte an der Yonsei-Universität in Seoul. „Diese Krise hat uns gezeigt, wie wenig wir über Kim Jong Un wissen. Wir werden nur dann mehr über ihn erfahren, wenn wir mit ihm reden“, sagte Delury. „Wenn man signalisiert, dass man zu Gesprächen bereit ist, bedeutet das noch nicht, dass man auch nachgibt.“Südkoreanische Medien hatten bereits am Wochenende berichtet, dass das Parlament die Regierung gebeten habe, einen ersten Schritt in Richtung Verhandlungen zu tun. Die Gesprächbereitschaft hat einen Grund. In der vergangenen Woche ist eines der wichtigsten Ämter in Nordkorea neu besetzt worden. Der Wirtschaftsreformer und Pragmatiker Pak Pong Ju wurde zum neuen Ministerpräsidenten ernannt. Mit ihm hat der Süden jetzt möglicherweise einen geeigneten Verhandlungspartner. „Mit ihm können sich alle verständigen, auch China“, sagt Delury.China, immer noch der engste Verbündete Nordkoreas, ist derzeit dabei, seine Haltung gegenüber dem unberechenbaren Nachbarn zu ändern. Bereits nach dem dritten nordkoreanischen Atomtest im Februar stimmte Peking umgehend UN-Sanktionen gegen das Land zu. Und in den letztten Tagen äußerten mehrere hochrangige Politiker immer wieder ernsthafte Besorgnis über die Eskalation und forderten beide Seiten zur Besonnenheit auf.Kreislauf der DrohungenEines jedenfalls ist sicher: Die Einflussmöglichkeiten Washingtons auf der koreanischen Halbinsel hängen auch entscheidend von Chinas weiterer Haltung ab. Bisher war Peking stets für die Aufrechterhaltung des Status quo, mit Nordkorea als Pufferstaat zum Süden, wo Zehntausende amerikanische Soldaten stationiert sind. Doch es dürfte kaum in Chinas Interesse sein, sollten die USA wegen der angespannten Lage ihre Truppen in der Region verstärken. Sogar der chinesische Staatschef Xi Jinping deutete bereits an, dass man Nordkorea zur Mäßigung aufrufen werde. Ohne den Nachbarn namentlich zu erwähnen, erklärte er vor Wirtschaftsvertretern: Kein Staat dürfe „die Region oder gar die ganze Welt aus egoistischen Interessen ins Chaos stürzen“.Auch in Europa tut sich etwas. Die Eidgenossen haben sich bereits als Vermittler angeboten. „Die Schweiz ist bereit, zu einer Deeskalation auf der koreanischen Halbinsel beizutragen, und zum Beispiel als Gastgeber von Gesprächen die Suche nach Lösungen zu unterstützen, sofern die beiden Parteien dies wünschen“, teilte das Außenministerium mit.Der Kreislauf von Drohungen, Zugeständnissen und nordkoreanischen Verletzungen der Abkommen über sein Atom- und Raketenprogramm lässt sich jedoch nur durchbrechen, wenn sich China, die USA und Südkorea auf eine gemeinsame Position verständigen. „Sie müssen mit einer Stimme sprechen, damit Nordkorea nicht wie bisher Hilfe bei China suchen kann. Nordkorea muss unmissverständlich klar gemacht werden, dass China es nicht länger unterstützt. Nur fürchte ich, dass sich die USA nicht darauf einlassen. Sie haben anderswo schon genug um die Ohren und kümmern sich nur um Nordkorea, wenn die Lage dort wieder einmal eskaliert. Dennoch müssen sie sich jetzt zu diesem gemeinsamen Vorgehen durchringen“, sagt Kim Hyun Wook vom südkoreanischen Institute of Foreign Affairs and National Security. Möglicherweise muss Washington darüber hinaus auch seine Forderung nach der Einstellung des nordkoreanischen Atomprogramms fallen lassen. „Es ist nicht damit zu rechnen, dass der Norden mit der Entwicklung seiner Atomwaffen aufhören wird. Deshalb müssen die USA und die anderen Länder eher über die Nichtverbreitung der Waffen verhandeln, als über deren Abschaffung“, meint Shin Jong Dae von der Universität für Nordkoreastudien in Seoul.Während sich die Lage in den letzten Tagen kaum entspannt hat, wirkt die Region um die demilitarisierte Zone wie eine ständige Mahnung an die Schrecken einer möglichen Auseinandersetzung. Rund sechzig Prozent der gesamten nordkoreanischen Militärmacht mit 600 000 Soldaten stehen direkt oder nicht weit entfernt von dieser weltweit am schärfsten gesicherten Grenze. Die in den Bergen versteckten Artillerieeinheiten könnten in kürzester Zeit das nur etwa 60 Kilometer entfernte Seoul zerstören. Der Norden könnte schon in der ersten Stunde der Kämpfe die Hauptstadt Südkoreas mit 500 000 Geschossen angreifen.Die amerikanische Politik der „strategischen Geduld“, einer Verbindung von Sanktionen mit Demonstrationen militärischer Stärke, ist nach Meinung vieler Experten gescheitert. „Die USA haben keine Strategie, sondern setzen abwechselnd auf Sanktionen und Gespräche“, sagte Kim Hyun Wook. „Und währenddessen hat Nordkorea erheblich aufgerüstet.“Trotz der unablässigen Drohungen Pjöngjangs war die Lage in der demilitarisierten Zone selbst in den vergangenen Tagen eher entspannt. Die Touristen jedenfalls kauften ungerührt Souvenirs und T-Shirts, so als ob es keine Krise zwischen den beiden Staaten gebe. Sie bedauerten lediglich, dass der Industriepark von Kaesong, der wie die riesige Kim Il Sung-Statue am Rande der Zone zu den nordkoreanischen Sehenswürdigkeiten gehört, derzeit nicht betreten werden kann.In Panmunjeom, dem Ort der Waffenstillstandsverhandlungen in der demilitarisierten Zone, ist in diesen Tagen erneut ein jahrzehntealtes tägliches Ritual zu beobachten. Nordkoreanische Grenzposten inspizierten mit Ferngläsern den Süden und dessen Soldaten, die alle aufgrund ihrer imposanten Statur für den Grenzdienst ausgewählt wurden. Hinter ihren Sonnenbrillen starrten die südkoreanischen Soldaten nach Norden zurück, während sie vollkommen unbewegt in Furcht einflößender Taekwondo-Pose verharrten. In den blauen Baracken, die genau auf der Demarkationslinie stehen, haben sich einst Vertreter von Nord und Süd zu Gesprächen für eine Wiederannäherung getroffen. Viele sehen in diesen einfach Relikte des Kalten Kriegs. Doch wer weiß: Wenn es zu einem Dialog kommt, könnten sie möglicherweise zum Schauplatz einer längst überfälligen Verständigung werden.