Wenn alle profitieren sollen, muss nicht nur mit Steuergeldern finanzierte Forschung öffentlich gemacht werden, sondern auch die Geheimstudien der Pharmaindustrie
Kürzlich aß ich zu Mittag mit dem standhaftesten Verfechter von Open Access, den man sich vorstellen kann. Wir sprachen über Pläne, öffentlich finanzierte wissenschaftliche Forschung frei und offen zu publizieren. In den USA gibt es den Federal Public Research Act, und in Großbritannien hat die Regierung angekündigt, dass öffentlich finanzierte Forschung kostenlos verfügbar gemacht werden soll, unter einer Creative-Commons-Lizenz, die unbegrenzte Vervielfältigung gestattet.
Unter Verschluss
Wir sprachen über Ben Goldacres exzellentes neues Buch Bad Pharma, in dem der Autor das Problem „fehlender Daten“ in der Pharmaforschung dokumentiert (er sagt, etwa die Hälfte der klinischen Studien im Auftrag der Pharmaindustrie wird
Übersetzung: Steffen Vogel
rag der Pharmaindustrie wird nie veröffentlicht). Die unveröffentlichten Studien sind natürlich diejenigen, die die neuen Produkte der Arzneimittelhersteller in einem wenig schmeichelhaften Licht präsentieren – Studien, die nahe legen, dass ihre Medikamente nicht besonders gut oder überhaupt nicht wirken oder gar Schaden anrichten.Aus der jahrzehntealten Praxis der Unternehmen (und einiger unabhängiger Forscher), wissenschaftliche Erkenntnisse zu unterschlagen, folgert Goldacre, dass nichts, was wir über moderne Medizin wissen, als richtig gelten darf. Er argumentiert dringlich dafür, die Veröffentlichung all dieses dunklen Pharma-Materials zu erzwingen, damit Wissenschaftler die Versuche wiederholen und herausfinden können, was tatsächlich hilft.Ich erwähnte dies gegenüber meinem Tischpartner und schloss: „Deswegen muss die ganze Pharmaforschung Open Access sein“. „Die ganze öffentlich finanzierte Pharmaforschung“, sagte er, als korrigiere er einen Fehler beim Grundrechnen. „Wenn die Öffentlichkeit dafür zahlt, sollte sie es auch sehen können, aber wenn Arzneimittelhersteller für ihre eigene Forschung zahlen wollen, nun…“Die ganze GeschichteIch wusste, wo das herkam. Eines der stärksten Argumente für den öffentlichen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen ist die „Schuld gegenüber der Öffentlichkeit“: Wenn die Öffentlichkeit deine Forschung bezahlt, sollte sie der Öffentlichkeit gehören. Das ist ein gutes Argument, aber es enthält nicht die ganze Geschichte. So kann man es leicht mit dem Gegenargument der „Public Private Partnerships“ treffen, das da lautet: „Ah, ja, aber warum sehen wir nicht zu, dass die Öffentlichkeit die maximale Dividende für ihre Ausgabe bekommt, indem wir viel Geld für den Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung verlangen und den Profit in die Forschung zurückfließen lassen?“ Ich halte dieses Argument für Quatsch, so wie die meisten Ökonomen, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben.Das öffentliche Gut frei zugänglicher, unbelasteter Forschung erzeugt mehr ökonomischen Wert für die Öffentlichkeit als der schnelle Zuckerrausch, den man erhält, wenn man die Öffentlichkeit beim Eintritt abkassiert und beim Austritt noch einmal. Dies hat sich in vielen Bereichen gezeigt. Das kanonische Beispiel liefert aber der massive öffentliche Ertrag durch die frei nutzbaren Karten der Landvermessungsbehörde United States Geological Survey. Sie haben ein Vermögen erzeugt, demgegenüber alles, was ihr britisches Pendant, die Ordnance Survey, für ihre Karten erhalten hat wie ein Almosen wirkt.Deswegen ist Goldacres Arbeit wichtig für diese Diskussion. Den Pharmakonzernen sollte nicht deswegen vorgeschrieben werden, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen, weil sie öffentliche Zuschüsse für ihre Forschung erhalten haben. Sondern, weil sie eine amtliche Bescheinigung wollen, dass ihre Produkte für den Verbrauch geeignet sind und weil sie Regularien brauchen, die es den Ärzten erlauben, diese Produkte zu verschreiben. Wir sind darauf angewiesen, dass sie ihre Forschung offen legen – selbst wenn das ihre Profite untergräbt –, weil wir sonst nicht wissen können, ob ihre Erzeugnisse verwendbar sind.Ein ähnliches Argument gilt für den Einsatz von freier oder Open Source-Software in Industrie- und Gesundheits-Apps wie dem OpenEyes-System, das die Londoner Moorfields Augenklinik und andere Institutionen weltweit entwickelt haben, nachdem die Einführung einer Elektronischen Krankenakte durch den staatlichen britischen National Health Service gescheitert war. Sie entschieden sich nicht aus ideologischen Gründen für ein offenes System anstelle eines urheberrechtlich geschützten, sondern aus äußerst praktischen. Kein Krankenhaus würde einem Ingenieursbüro erlauben, einen neuen Gebäudeflügel zu bauen und dabei geheime, urheberrechtlich geschützte Mittel zu verwenden, um die Traglast zu kalkulieren. Es würde keinen neuen Flügel akzeptieren, dessen Bauzeichnungen ein Geheimnis sind und bei dem nur der Bauträger weiß, wo Rohre und Kabel verlaufen.Mit Sicherheit könnten Ingenieursbüros und Architekten mehr verdienen, wenn ihre Methoden urheberrechtlich geschützt wären. Wir verlangen aber Offenheit von ihnen, weil wir Krankenhäuser unabhängig vom Schicksal eines einzelnen Ingenieursbüros betreiben können müssen und weil wir die Beruhigung brauchen, die man erreicht, wenn man die Traglast-Berechnung selbst nachprüfen kann. Die IT-Systeme zur Patientenverwaltung in Krankenhäusern sind genauso wesentlich wie der Ort der Ethernet-Kabel in den Wänden. Daher erwartet Moorfields, dass sie so offen sind wie die Baupläne ihrer Gebäude. Deswegen müssen die Pharma-Riesen ihre Arbeit zeigen: Ungeachtet ihrer Bilanz dürfen ihre Produkte ohne eine solche Offenlegung nicht zugelassen werden. Es ist wichtig, dass öffentlich finanzierte Arbeit in die Hände der Öffentlichkeit kommt. Aber damit endet die Open-Access-Story nicht. Damit beginnt sie erst.