In der lichten Eingangshalle des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main (MMK) warten aufgekratze Schüler auf ihre Führung. Im ersten Raum lauscht eine Gruppe von Greisen zwischen dem Foto einer jugendlichen Discoqueen und Picassos Weinender Frau hochkonzentriert und leicht amüsiert einer Museumskraft. Susanne Gaensheimer ist seit 2009 Direktorin dieses Hauses. Wir sind im Café des MMK verabredet, um über ihre andere, prominentere Aufgabe zu sprechen. Gaensheimer kuratiert nach 2011 erneut den deutschen Pavillon in Venedig, der in diesem Jahr im Gebäude des französischen zu finden sein wird. Anlässlich des 50. Jubiläums des Élysée-Vertrags werden die Pavillons getauscht.
Der Freitag: Frau Gaensheimer, waren Sie erleichtert,
tag: Frau Gaensheimer, waren Sie erleichtert, als feststand, dass Sie das Gebäude des deutschen Pavillons nicht noch einmal bespielen müssen?Susanne Gaensheimer: Sagen wir so: Ich habe mich wirklich gefreut, jetzt an einem anderen Ort etwas zu machen. Der deutsche Pavillon ist einfach schwierig. Es gibt immer die Forderung, hört doch endlich auf, euch permanent mit der ideologischen Bedeutung dieses Gebäudes zu beschäftigen. Ich finde diese Forderung berechtigt und nachvollziehbar. Aber wenn Sie da drinstehen, kommen Sie um diese Auseinandersetzung nicht herum.Lässt sich dieser Raum überhaupt bewältigen?Sie können die Halle komplett zumauern, wie Gregor Schneider es getan hat, das war genial. Die beste Arbeit, die meines Erachtens je im deutschen Pavillon gemacht wurde, war die von Hans Haacke, der den Boden aufgebrochen hat. Und dann gibt es Künstler, die mit der Höhe dieser Halle nicht klargekommen sind. Alles, was Sie da reinstellen, wirkt mickrig.Architektonisch ist der französische Pavillon eine Antwort auf den deutschen.Es gibt eine starke Symmetrie. Wenn Sie im hinteren Raum des französischen Pavillons stehen und die Tür geöffnet ist, schauen Sie durch alle anderen Räume hindurch auf das Portal des deutschen Pavillons. Da findet ein Dialog statt.Vor Kurzem gab es Streit um die Louvre-Ausstellung „De L’Allemagne, 1800–1939“. Von deutscher Seite wurde kritisiert, die Schau instrumentalisiere die Kunst, um alte Vorurteile zu bekräftigen. Kommt der Pavillon-Tausch mit Frankreich zur richtigen Zeit?Ich finde ja. Auch im Hinblick auf die Situation in Europa. Ich halte es für richtig, gerade jetzt ein Zeichen für eine Zusammenarbeit zu setzen, bei der jeder Partner seine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten hat. Was die Franzosen im deutschen Pavillon machen, ist völlig unabhängig von dem, was wir im französischen Pavillon machen. Genauso wichtig ist für mich aber die internationale Besetzung.Sie haben vier Künstler aus vier Kulturkreisen eingeladen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?Ich habe die Möglichkeit bekommen, ein zweites Mal den deutschen Pavillon zu kuratieren. Das erste Mal habe ich die klassische Form gewählt. Ich habe einen der wichtigsten deutschen Künstler eingeladen, im deutschen Pavillon etwas zu machen. Bei dem, was Christoph Schlingensief ursprünglich für den Pavillon plante, hätte eine Zersetzung des nationalen Gedankens stattgefunden. „Die vermeintliche Eindeutigkeit nationaler Identität“, hat er immer gesagt. „Was ist das eigentlich? Das gibt es doch gar nicht.“ Das war für mich ein wichtiger Schritt, hinter den ich dann nicht mehr zurückkonnte.Was war für Sie die Konsequenz?Mir ist klar geworden, wenn man Deutschland durch die Kunst repräsentiert, dann muss man auch mal thematisieren, wie international die Kunst- und Kulturwelt hier ist. Untersuchungen zufolge leben in Deutschland die meisten internationalen Künstler. Die Städelschule hier in Frankfurt hat als Lehrsprache Englisch, weil über 60 Prozent der Studenten aus allen Teilen der Welt kommen. Ein anderer Aspekt ist, dass Deutschland ein Land geworden ist, in dem politisch verfolgte Künstler Zuflucht bekommen. Das ist wichtig für dieses Land, und auch das kann man mal zeigen. Was ist denn ein deutscher Künstler überhaupt? Heute gibt es keine Eindeutigkeit mehr. Das entspricht nicht den Erfahrungen, die wir in der Welt und im Alltag machen.Ai Weiwei ist einer der vier Künstler, die Sie zeigen werden. Er hat 2011 ein Atelier in Berlin gekauft, bevor er in seinem Heimatland China unter Hausarrest gestellt wurde.Ai Weiwei wäre ein fester Bestandteil der Berliner Kunstszene. Er hat dort eine Professur, die er nicht antreten kann. Und er sagt selbst, dass Deutschland das wichtigste Land für seine Karriere ist. Die Ausstellung im Haus der Kunst in München 2009 sei für ihn die wichtigste gewesen.Wie sieht es bei den anderen aus?Alle vier haben ein festes Standbein hier. Romuald Karmakar als deutscher Künstler natürlich sowieso. Dayanita Singh hatte ihre allererste Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin. Noch wichtiger aber ist, dass sie alle ihre Bücher im Steidl-Verlag veröffentlicht, auch Experimente, die überhaupt nicht wie Bücher aussehen. Sie selbst sagt, sie sei eine „künstlerische Ehe mit Steidl“ eingegangen. Deshalb ist sie oft in Göttingen. Ähnlich ist es bei Santu Mofokeng, der auch sehr eng mit Steidl zusammenarbeitet, allerdings nicht eheähnlich, weil er es nicht lange in Göttingen aushält. Und er druckt alle seine Prints in Berlin. Außerdem lebt sein wichtigster Sammler, Artur Walther, in Neu-Ulm.Was verbindet die vier inhaltlich?Die Hinterfragung dessen, was man als kulturelle oder nationale Identität bezeichnet. Bei Romuald Karmakar ist es in seiner Biografie angelegt. Sein Vater ist Iraner, die Mutter Französin, er selbst ist in Deutschland geboren, lebt in Berlin, hat aber einen französischen Pass. Er beschäftigt sich in seinen Arbeiten seit fast drei Jahrzehnten tiefschürfend mit deutscher Geschichte, deutschen Themen, deutscher Identität. Er ist sicher einer der politischsten Künstler in diesem Land.Viele werden ihn nur als Filmemacher kennen.Er ist Filmemacher, er macht aber auch Kunstfilme. Denken Sie an das Himmler-Projekt. Das ist Gegenwartskunst. Ich finde diese Spartentrennung nicht fruchtbar.Von Dayanita Singh und Santu Mofokeng werden die wenigsten gehört haben.Dayanita Singhs großes Thema ist das Weggehen. Sie ist aus der traditionellen Vorstellung der Lebensform einer Frau in Indien ausgebrochen und hat angefangen, als Fotografin zu reisen. Ihr Leben ist viel stärker durch das Weggehen bestimmt als durch ihre Wurzeln in Delhi. Bei Santu Mofokeng spielt die Identitätsfrage als Schwarzer in Südafrika eine große Rolle. Seine Bilder zeigen, wie sich die restriktive Situation der Apartheid auch auf die spirituelle Identität der schwarzen Südafrikaner niederschlägt, aber auch, wie sich Trauma in die Landschaft einschreibt. Bei Ai Weiwei ist ein großes Thema die Modernisierung der chinesischen Gesellschaft. Ich finde, er ist eine enorm wichtige Figur für dieses Thema.Ai Weiwei darf China noch immer nicht verlassen. Wie gestaltet sich die Arbeit mit ihm?Ai hat seine Installation in Peking auf dem Grundriss des Raumes und in Kenntnis seiner Höhe entwickelt. Seine Mitarbeiter haben die Arbeit mit ihm entwickelt, dort auf- und abgebaut und im französischen Pavillon in Venedig wieder installiert.Der Export war kein Problem?Ai Weiwei hat viele Ausstellungen im Ausland. Die chinesischen Behörden betonen immer, dass sie nichts dagegen haben, dass er als Künstler international arbeitet. Dass sie das sogar richtig und wichtig finden. Sie wollen nur nicht, dass er politisch aktiv ist. Sie scheinen nicht zu verstehen, dass das bei ihm das gleiche ist.Ihr Name taucht im Ranking der wichtigsten 100 Personen der Kunstwelt der Zeitschrift Art Review nicht auf. Werden Kuratoren zu wenig beachtet?Ich finde, dass man die Rolle des Kurators nicht überbewerten muss. Es gibt bedeutende Kuratoren wie Hans Ulrich Obrist oder Okwui Enwezor, die auch tatsächlich Maßstäbe gesetzt haben. Dann ist das Kuratorensein ähnlich wie das Künstlersein. Wenn das nicht der Fall ist, steht eindeutig die Kunst im Vordergrund. Mich hat es schon immer gestört, wenn Kuratoren die Kunst benutzen, um Themen oder Ideen zu illustrieren. Die Aufgabe des Kurators ist vielmehr, Raum für Ideen zu schaffen. Die Kunst muss aus sich selbst heraus sprechen. Wenn das nicht gelingt, dann hat der Kurator einen Fehler gemacht.Das Gespräch führte Christine KäppelerDie 55. Kunstausstellung der Biennale von Venedig findet vom 1. Juni bis 24. November 2013 statt