Gleich drei parlamentarische Ausschüsse untersuchen das Behördenversagen im Fall der Neonazi-Bande NSU. Doch entscheidende Informationen bleiben nach wie vor geheim
Politiker und Journalisten haben oft ein zwiespältiges Verhältnis zu Untersuchungsausschüssen. Die Aufklärung von Verfehlungen und Versagen bleibt meist auf der Strecke, eigentlich geht es nur um politisches Haudrauf und Schlagzeilen. Das allerdings mögen viele Politiker und Journalisten – auch wenn sie sich hinter dem Anschein von Seriosität verschanzen.
Den Haudrauf-Politikern und -Journalisten stehen geradezu paradiesische Zeiten bevor. Gleich drei Untersuchungsausschüsse – im Bundestag sowie in den Landtagen von Sachsen und Thüringen – wollen sich mit ein und demselben Thema befassen: die Aufklärung von Versäumnissen und Fehlern der Sicherheitsbehörden im Fall der mutmaßlichen rechten Terrorgruppe „Natio
rnalisten haben oft ein zwiespältiges Verhältnis zu Untersuchungsausschüssen. Die Aufklärung von Verfehlungen und Versagen bleibt meist auf der Strecke, eigentlich geht es nur um politisches Haudrauf und Schlagzeilen. Das allerdings mögen viele Politiker und Journalisten – auch wenn sie sich hinter dem Anschein von Seriosität verschanzen.Den Haudrauf-Politikern und -Journalisten stehen geradezu paradiesische Zeiten bevor. Gleich drei Untersuchungsausschüsse – im Bundestag sowie in den Landtagen von Sachsen und Thüringen – wollen sich mit ein und demselben Thema befassen: die Aufklärung von Versäumnissen und Fehlern der Sicherheitsbehörden im Fall der mutmaßlichen rechten Terrorgruppe XX-replace-me-XXX8222;Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die mehr als zehn Jahre mordend durch die Lande gezogen ist. Zusätzlich soll es noch eine Bund-Länder-Expertenkommission geben, die aus allen drei Untersuchungsausschüssen die Erkenntnisse zusammenträgt, Zeugen befragt und Unterlagen sichtet.Wohlan, das wird ein Spektakel. Wobei sich das Publikum schon bald desinteressiert und desillusioniert abwenden dürfte. Denn die Erfahrung früherer Aufklärungsgremien lehrt: Immer, wenn es konkret wird und um den Kern des Untersuchungsgegenstandes geht, stehen entweder „laufende Ermittlungen“ oder „nationale Sicherheitsinteressen“ öffentlich gegebenen Auskünften im Weg.Jede Menge SpitzelIn Fall NSU haben die Sicherheitsbehörden längst ihren Kotau gemacht und zerknirscht das eigene Versagen eingestanden. BKA-Chef Jörg Ziercke – trotz aller eingeräumten Versäumnisse noch immer im Amt – gab im Innenausschuss Ende November zu Protokoll, dass „der Polizei weder Erkenntnisse zur Existenz dieser terroristischen Zelle vorher vorgelegen haben noch dass es bei den Anschlagsplanungen solche Hinweise auf die rechtsextremistische Szene gab“. Und Heinz Fromm – nach wie vor oberster Verfassungsschützer der Republik – sagte im gleichen Ausschuss, es sei „weder gelungen, das Abtauchen der Mitglieder des NSU zu verhindern noch Hinweise auf Unterstützer zu erhalten“.Die öffentliche Festlegung der beiden Behördenchefs scheint damit eindeutig. Doch dürfte sie in den anstehenden Untersuchungsausschüssen genau hinterfragt werden. Immerhin hatten Bundesbehörden eigene Quellen im Unterstützerumfeld der Ende Januar 1998 abgetauchten Jenaer Neonazis Beate Z., Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Das BfV erhielt zudem Informationen aus den Landesämtern in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowie vom Militärischen Abschirmdienst (MAD). Sie alle führten V-Leute, die mal mehr, mal weniger dicht an dem Trio dran waren. Und trotzdem wollen sie von allem nichts gewusst haben?Am 12. Dezember legte das BfV eine „Chronologie der Erkenntnisse und operativen Maßnahmen nach Abtauchen der Mitglieder der terroristischen Vereinigung ‚Nationalsozialistischer Untergrund’“ für die Jahre 1998 bis 2001 vor. Dieses 24-seitige Geheimpapier – die VS-Einstufung soll laut Aufdruck erst 2041 enden – widerlegt eindrücklich die These von der Ahnungslosigkeit der Sicherheitsbehörden. Liest man den Bericht aufmerksam, stößt man auf gleich drei V-Leute und Informanten, die das LfV Thüringen und der MAD im unmittelbaren Unterstützerumfeld des abgetauchten Trios führten. Unerwähnt bleiben in dem Report zwei weitere Spitzel: eine Quelle des Bundesamts für Verfassungsschutz in der Neonazi-Vereinigung „Thüringer Heimatschutz“, die eine zentrale Rolle bei der Unterstützung von Beate Z. und ihren Freunden spielte; und ein weiterer Informant einer Bundesbehörde, der zeitweise sogar direkten Zugang zu Z. gehabt haben soll.Fluchtpläne nach SüdafrikaDank ihrer mindestens fünf staatlichen Spitzel und diverser, mitunter monatelanger Lauschangriffe auf mehr als ein Dutzend Helfer des untergetauchten Trios waren Verfassungsschutz und Polizei zumindest bis Anfang 2001 in Wahrheit ziemlich gut informiert. Man wusste, dass die drei damals planten, sich ins Ausland abzusetzen – etwa nach Südafrika. Man erfuhr schon im März 1998, dass offenbar Chemnitzer Rechtsextremisten die Betreuung der drei übernommen hatten. Und seit August 1998, so heißt es in dem BfV-Report, habe man Hinweise darauf gehabt, dass Mitglieder der sächsischen „Blood“-Sektion die Flüchtigen unterstützten.„Blood“ ist eine militante, international vernetzte rechtsextreme Organisation, die das von dem amerikanischen Neonazi Louis Beam 1992 entwickelte Strategiekonzept „leaderless resistance“ (auf deutsch: führerloser Widerstand) vertritt. Demnach sollen autonom agierende „Widerstandszellen“ selbstständig Terroraktionen durchführen. Daran könnten sich auch die Gründer des NSU orientiert haben.Schon im September 1998 erfuhr das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass ein B aus Sachsen die Gesuchten mit Waffen versorgen sollte. „Das Trio plane nach der Entgegennahme der Waffen und noch vor der Flucht nach Südafrika einen weiteren Überfall, um mit dem Geld sofort Deutschland zu verlassen“, steht in dem BfV-Bericht. Auch soll eine B der Gruppe vorgeschlagen haben, „die politische Arbeit im Untergrund in Form von Anschlägen durchzuführen“. Im Herbst 1998 hörte das Bundesamt einen sächsischen Neonazi ab, der Kenntnisse zum Aufenthaltsort des Trios hatte. Daraus ergaben sich Anhaltspunkte für ein konspiratives Versteck im Großraum Dresden, das das BfV auch als möglichen Zufluchtsort der Flüchtigen einstufte. Durchsuchen ließ das Bundesamt das Objekt aber nicht. Im März 1999 schließlich verdichteten sich laut BfV-Bericht die Informationen, dass sich die Gesuchten im Raum Chemnitz aufhalten sollen. Die Behörden starteten daraufhin eine umfangreiche Observation.Die Daten sind deshalb von Belang, weil 1998/1999 die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einen sogenannten Prüfvorgang gegen Z., Mundlos und Böhnhardt führte. Anlass war der Fund von Waffen, Rohrbomben und insgesamt zwei Kilogramm TNT in einer von den drei Neonazis genutzten Garage in Jena am 26. Januar 1998 – unmittelbar vor ihrem Untertauchen. In einem solchen Prüfvorgang wird untersucht, ob die Strafverfolgung in einem konkreten Ermittlungsverfahren in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fallen könnte. Die kann das Verfahren an sich ziehen, wenn die Beschuldigten sich beispielsweise zu einer Vereinigung mit terroristischer Zielsetzung zusammengeschlossen haben. Solche Terrorismusverfahren führte die Bundesanwaltschaft zwischen 2001 und 2010 gegen insgesamt elf angebliche Mitglieder der linksextremistischen „militanten gruppe“ wegen Brandanschlägen auf unbesetzte Autos und leerstehende Gebäude. Die Verfahren mussten schließlich allesamt ergebnislos eingestellt werden.Keine TerrorgruppeIm Fall der 1998 untergetauchten Neonazis sah die Bundesanwaltschaft dagegen keine Zuständigkeit. Sie stützte sich dabei auf Einschätzungen des Verfassungsschutzes und des BKA, das 1999 zum Beispiel übermittelte, dass Mundlos, Böhnhardt und Z. lediglich in der Stadt Jena aktiv gewesen seien. Hinweise auf überregionale Aktivitäten hätten nicht vorgelegen; Kontakte habe die Gruppe nur zu der regional agierenden „Kameradschaft Jena“ gepflegt. Es handele sich bei den dreien zudem um Einzeltäter, nicht um eine eigens gegründete Gruppierung.Nur eine verhängnisvolle Fehleinschätzung? Oder wollten die Sicherheitsbehörden ihre eigenen Quellen in der Neonazi-Szene vor einem allzu forschen Ermitteln der Bundesanwälte schützen?Diese Fragen ließen sich in den Untersuchungsausschüssen anhand des BfV-Berichts vom Dezember gut diskutieren – wenn die Abgeordneten ihn denn lesen dürften. Das aber hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) untersagt. Selbst den Parlamentariern in geheim tagenden Kontrollgremien für die Nachrichtendienste wird der aussagekräftige Report vorenthalten. Aus Gründen der nationalen Sicherheit, wie es heißt.